Israelitische Kultusgemeinde

Ende Dezember 1874 stellten die Memminger Juden ihre Satzung auf, in der sie den Kemptener Juden ausdrücklich den Beitritt zur Kultusgemeinde Memmingen offenhielten. Im März 1875 beschlossen die Kemptener, sich mit den Memminger Juden zusammenzutun, was aber nur ein formeller Akt bleibt, und unterstellen sich gemeinsam dem Rabbinat Ichenhausen.
Am 23. April 1875 gründeten die israelitischen Familien in Memmingen und Kempten eine Kultusgemeinde. Die jüdische Gemeinde Memmingen bestand im Jahr 1874 aus 23 Familien und hatte eine Synagoge, Gemeinderäume, eine Mikwe (Ritualbad) und einen Friedhof.
De facto bildeten die Kemptener Juden eine recht selbstständige Filialgemeinde mit eigener Vorstandschaft. Die Kemptener Gemeinde war deutlich kleiner, mit nur 56 Mitgliedern (Stand 1924). Zum ersten Vorstand wird der Kurzwarenhändler Jakob Orthal gewählt, der die Gemeinde bis 1899 leitete und dann vom Kaufmann Leopold Kohn abgelöst wird. Diesem folgt am 1.1.1914 Sigmund Ullmann nach.
In einem Nebenzimmer des Landhaussaales richtet die jüdische Gemeinde ihren Betsaal ein.

Die Kemptener Filialgemeinde kaufte im Januar 1876 einen Begräbnisplatz am westlichen Rande des katholischen Friedhofes, verzichtete aber auf den Bau einer Synagoge und beschränkte sich auf die Einrichtung eines Betsaales im Landhaus. Andere kultische Einrichtungen, wie ein Ritualbad (Mikwe) oder einen eigenen Schächter benötigen die Kemptener Juden nicht, da sie in religiöser Hinsicht ziemlich liberal sind. Die strenge, orthodoxe Lebensführung lässt sich für sie wohl kaum durchhalten. Denn bei den jüdischen Ladengeschäften ist eine absolute Sabbatruhe von Freitagabend bis Samstagabend kaum möglich. Dagegen wird das jährliche Jom Kippur-Fest (Tag des Fastens, des Gebets und der Reue, an dem Juden versuchen, sich mit Gott und ihren Mitmenschen zu versöhnen) ausgiebig gefeiert. In der Zeitung kündigen die Kaufleute rechtzeitig an, dass ihre Geschäfte an diesen Tagen geschlossen sind.

Im Jahre 1897 stellte die Kultusgemeinde den Religionslehrer A. Rosenblatt aus Memmingen an. Zwei Jahre später wurde er durch den Fellheimer Lehrer Salomon Frank abgelöst. Mit der Entwicklung der Stadt Kempten wuchs die Zahl der Juden bis auf 91 (1910) an. In Schwaben lebten im Jahr 1907 etwa 3600 Juden. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges übernahm Sigmund Ullmann die Leitung der Gemeinde; den Religionsunterricht hielt der Altenstadter Lehrer Hans Rose.

In Kempten zogen aufgrund der Folgen des Boykotts jüdischer Geschäfte und dem Verlust ihrer Rechte einige Juden im Verlauf der Zeit weg. Im Jahr 1938 kam es während der Reichspogromnacht zu einzelnen Ausschreitungen, wie beispielsweise eingeworfene Fenster. Außerdem wurden mehrere jüdische Männer festgenommen und drei von ihnen ins KZ Dachau deportiert.
In Memmingen gab der NSDAP-Kreisleiter Wilhelm Schwarz am 10.November 1938 den Befehl, die Synagoge niederzubrennen und die Juden der Stadt festzunehmen. Ab April 1940 wurden sie gezwungen, ihre Wohnungen zu räumen und wurden in fünf „Judenhäuser“ eingewiesen. Nach Kriegsende kehrten nur vier Mitglieder der ehemaligen Gemeinde zurück nach Memmingen.
Später mussten die jüdischen Bewohner in sogenannte „Judenhäuser“ ziehen. In Kempten war es das Haus von Sigmund Ullmann in der Immenstädter Straße. Von dort wurden die ab dem Jahr 1942 deportiert und ermordet. 16 jüdische Mitbürger aus Kempten kamen in Vernichtungslagern ums Leben, darunter Sigmund Ullmann. Damit endete die israelitische Kultusgemeinde in Kempten.